Der Stadtrat befasste sich in seiner Sitzung am 12.12.2019 mit dem Haushalt für das Jahr 2020. Dazu im Folgenden die Rede des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Benjamin Qualmann, im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Wiese, sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender Waldau, sehr geehrte Damen und Herren,

für den Haushalt haben wir auch in diesem Jahr wieder einige inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Schwerpunkte, die Ihnen bekannt vorkommen dürften. Einige davon bringen wir mit verschiedenen Anträgen seit Jahren immer wieder in die Beratungen ein. Das werden wir auch in den kommenden Jahren so weiter machen, bis Sie – und da spreche ich die Kollegen von der CDU hier vorne an – ihre Blockadehaltung endlich aufgeben.

Worum geht es konkret?

Digital Officer

Es geht auch in diesem Jahr wieder um die digitale Stadt. In 2019 haben 538 Städte und Gemeinden am zweiten "Zukunftsradar Digitale Kommune" des Deutschen Städte- und Gemeindebundes teilgenommen, mit dem der derzeitige Stand der Digitalisierung untersucht wurde.

Ergebnis: Nur jede zweite Kommune sieht sich gut auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet. Den größten Nachholbedarf bzw. die größten Baustellen werden in der Verwaltungsdigitalisierung, dem Breitbandausbau und dem Aufbau einer generellen Digitalisierungsstrategie gesehen.

Deshalb stellen wir erneut unseren Antrag aus 2018, die Planstelle eines Digital Officers zu schaffen. Wir brauchen als Kreisstadt das externe Know-how, um den Anschluss nicht zu verlieren.

Was ist ein DO?

Der Digital Officer ist eine digitale Führungskraft. In seiner Rolle manifestiert und personifiziert sich digitale Führung der Verwaltung. Er hat die Aufgabe, Stadt und Verwaltung in und durch die digitale Transformation zu führen. Digitale Transformation beschreibt dabei die erheblichen Veränderungen und Auswirkungen auf das alltägliche Leben in Wirtschaft und Gesellschaft durch den Gebrauch von digitalen Technologien.

In der vorherigen Diskussion in den Fachausschüssen wurde die Idee eingebracht, erst Mal auf ein Landesprogramm Digitallotse zu warten, wie es in anderen Bundesländern bereits aufgesetzt ist. Doch macht die Teilnahme an so einem Programm als Ergänzung unseres Antrags wirklich Sinn?

Schauen wir uns dazu einmal an, wer oder was Digitallotsen sind:

  • Digitallosten sind Mitarbeiter der Verwaltung, die im Rahmen eines Multiplikatoren-Programms geschult werden, damit sie „ihre Kolleginnen und Kollegen mit Blick auf Digitalisierung „begeistern und anstecken, so dass verwaltungsintern ein Netz von Begeisterten wächst.“ (Staatsministerium Baden-Württemberg, Pressestelle der Landesregierung).
  • Was ist die Augabe der Digitallotsen? „Als Impulsgeber sollen sie die notwendigen Transformations- und Veränderungsprozesse in den Verwaltungen anregen und Digitalisierungsprojekte in ihren Verwaltungen vorantreiben.“ (Digitalakademie@bw). Zudem sollen sie „als kompetente Ansprechpartner auch für Bürger und Unternehmen zur Verfügung zu stehen.“ (Kommune21)
  • Wie werden die Digitallotsen ausgebildet? Sowohl in Bayern als auch in Baden-Würtemberg wird das Basiswissen in dreitägigen Schulungen vermittelt.
  • Wie sieht die Förderung in anderen Bundesländern aus? In Baden-Würtemberg wird die Maßnahme mit 100 Euro je Schulungstag über Bildungs-Vouchers vom Land gefördert. Die restlichen Seminargebühren inklusive Reisekosten sind durch die Städte zu tragen.

Fazit: Mit dem Digital Officer, wie wir ihn beantragt haben, ist eine Teilnahme an diesen Schulungsmaßnahmen überflüssig, da er bereits zum Beginn seiner Tätigkeit deutlich mehr Wissen mitbringt und vor allem deutlich mehr Wissen direkt einbringen kann. Das führt im Übrigen auch zu einer schnellen Refinanzierung der Stelle.

Eine finanziell leistungsstarke Stadt wie Winsen sollte nicht abwarten, sondern vorangehen. Die mit der Digitalisierung verbundene Transformation wird uns über Jahre fordern. Während andere Städte und Kommunen noch auf ein Landesprogramm für Digitallotsen warten, um sich Basiswissen ins Haus zu holen, haben wir als Kreisstadt mit dem Digital Officer bereits wesentlich mehr Know-how eingekauft und setzen schon unseren Masterplan um. Das hat Vorbildcharakter und Strahlkraft weit über die Metropolregion hinaus. Diese Chance gilt es nun zu nutzen.

Wir sollten also keine Zeit verstreichen lassen. Überwinden sie sich und stimmen Sie unserem für heute noch mal ergänzen Antrag zu.

Wohnen in Winsen

Worum geht es noch: Heute muss ich leider das dritte Jahr in Folge – lassen Sie das mal auf sich wirken – also erneut an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Beteiligung an der Kreiswohnungsbaugesellschaft nicht ausreicht, das Wohnungsproblem in Winsen zu lösen.

Berücksichtigt man dann, dass bereits 2016 bekannt war, dass in Winsen bis zum Jahr 2020 mindestens 643 Wohnungen fehlen werden, wird die Notwendigkeit des Handelns sehr deutlich. Zumal diese Zahl heute durch die Ansiedlung großer Konzerne, die sehr viele Arbeitskräfte beschäftigen, noch höher sein wird, was die Situation deutlich verschärft.

Jetzt kann man sich natürlich hinstellen und sagen: Wir haben uns ja an der Kreiswohnungsbaugesellschaft beteiligt, die machen das schon. Das meine Damen und Herren ist aber sehr scheinheilig und eher ein Wegducken – denn durch die Gesellschaft werden lediglich 150 Wohneinheiten in unserer Stadt entstehen die frühestens 2022 bezugsfertig sind.

Es steht bereits in unserem Antrag drin und man kann es nicht oft genug sagen: Wir sehen die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum als eine zentrale Aufgabe kommunaler Politik an!

Ein entscheidender Punkt ist nämlich dieser: Schaffen wir im Konkurrenzkampf um Fachkräfte und junge Menschen keinen ausreichend bezahlbaren Wohnraum in Winsen, werden wir schnell das Nachsehen haben, was sich auch auf die Wirtschaft auswirken wird.

Eine Stadt muss heute mehr denn je homogen wachsen, auf der einen Seite, um eben Fachkräfte wie bspw. aus der Pflege, der Erziehung oder dem Handwerk anzuziehen. Auf der anderen Seite, um die jungen Menschen zu halten. Denn wenn sie einmal weggezogen sind, kommen sie selten zurück.

Deshalb stellen wir heute den Antrag für ein Handlungsprogramm Wohnen zur Schaffung bezahlbaren Wohnraumes in Winsen.

Was bedeutet das?

Das bedeutet, dass die Verwaltung beauftragt werden soll, im 1. Halbjahr 2020 ein Handlungsprogramm Wohnen zu entwickeln, mit dem erreicht wird, dass in Winsen und den Ortsteilen in den nächsten 5 Jahren mindestens 200 öffentlich geförderte Wohnungen und 300 Wohnungen mit dauerhaft bezahlbaren Mieten entstehen. Dafür wollen wir 15.000 Euro in den Haushalt einstellen.

Zudem wollen wir umsetzen, dass in neuen Baugebieten grundsätzlich 1/3 der Fläche für öffentlich geförderten Wohnungsbau zur Verfügung gestellt wird. Sodass bzw. über städtebauliche Verträge sichergestellt ist, dass dauerhaft Sozialwohnungen bzw. Wohnungen mit bezahlbaren Mieten entstehen. Die Verpflichtung gilt dann für Bauvorhaben ab 15 Wohneinheiten.

Im Übrigen: Schlimm genug ist ja, dass wir hier seit Jahren gegen Windmühlen kämpfen. Die jüngste Argumentation aus Reihen der CDU, warum man diesem Antrag nicht zustimmen würde, ist jedoch an Realitätsverweigerung kaum noch zu überbieten. Man sagte uns in den vorausgegangenen Beratungen, Winsen hätte doch gar kein Problem mit fehlenden bezahlbaren Wohnungen. Vielmehr hätten wir doch ein Problem mit fehlenden Eigenheimen. Also in der Definition der CDU: es fehlen Einfamilienhäuser. Denn das sei ja Altersvorsorge und damit gut für die Menschen. Ganz ehrlich: viel mehr kann man die Leute fast gar nicht mehr verspotten, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind und sich eben kein Eigenheim leisten oder finanzieren können!

Die Wohnraumnot zu lösen ist für uns so elementar, dass wir hier einen Punkt erreicht haben, der über unsere Zustimmung zum Haushalt entscheidet, auch wenn es monetär „nur“ 15.000 Euro sind, die eingestellt werden sollen. Denn hier im Stadtrat wird der Wohnraumdruck leider immer noch unterschätzt oder nicht ernst genommen, dabei ist das schon lange zur sozialen Frage geworden! Und da übernimmt die größte Gruppe im Rat eben nicht die gerne betonte Verantwortung.

Ortsumgehung Luhdorf / Pattensen

Ich komme zu einem weiteren Thema. Erneut sind im Haushaltsentwurf erhebliche Gelder in Höhe von 1.045.000 Euro für die Projektsteuerung Ortsumfahrung Luhdorf-Pattensen enthalten. Bis 2023 werden dann insgesamt ca. 4 Mio. Euro verplant sein. Wir lehnen dieses Projekt aus 2 Gründen ab:

  • Für das Projekt werden bereits heute ca. 35 Mio. Euro Baukosten veranschlagt. Bis es in 5-10 Jahren frühestens losgeht – wenn es keine Verzögerungen gibt – werden es durch Baukostensteigerungen eher 40 Mio. + x sein. Die Kosten für die Umfahrung Luhdorf werden sich Stadt und Landkreis zur Hälfte teilen, die Kosten für Pattensen wird die Stadt alleine tragen. Das hat der Landkreis sehr deutlich dargelegt. Das Land wird sich höchstens durch Fördergelder des Niedersächsischen Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes beteiligen – wenn alles perfekt läuft – mit max. 60%. Das bedeutet, die Stadt müsste immer noch mehr als 10 Mio. Euro selber stemmen.
  • Setzt man dann die Kosten ins Nutzenverhältnis, wird eine Zustimmung zur OU noch schwieriger. Die Planer haben ganz deutlich gesagt, dass es neben einer Entlastung der Ortschaften auch darum geht, eine leistungsfähige überörtliche Verbindung zu schaffen. Die befürchtete Autobahneckverbindung ist also alles andere als abwegig. Zudem wurde mit Blick auf die Entlastung der Ortschaften bestätigt, dass bspw. der Ortskern rum um die Kirche in Pattensen gar keine Rolle gespielt habe. Auch wird es durch die OU keine Entlastung der Blumenstraße oder der Luhdorfer Str. geben. Der Zweck, vom Verkehr zu entlasten ist also zumindest mal zweifelhaft. Ob es nicht doch eher darum geht, am Ende neue Gewerbegebiete an die neue Straße anzuschließen, darüber kann sich jeder seine Gedanken machen. Die SPD wird sich auch in 2020 weiter für Alternativen einsetzen und hat für den weiteren Verlauf der heutigen Beratungen gemeinsam mit den Grünen einen Antrag gestellt, die Planungsgelder zu streichen.

Wie geht es weiter:

Wir werden nun im weiteren Verlauf der Beratungen sehen, wie die Mehrheiten fallen und ob wir dem Haushalt 2020 am Ende zustimmen können oder nicht.

Eines möchte ich an dieser Stelle ansprechen:

Aus unserer Sicht gibt es in der Arbeit dieses Stadtrates – vor allem seitens der CDU - ein grundsätzliches Problem: Es fehlt die Bereitschaft, Anträgen anderer Fraktionen zuzustimmen. Das macht sich schon Vorfeld in den Ausschussberatungen bemerkbar, wo selten eine qualifizierte Debatte stattfindet. Dabei bleibe ich auch, selbst wenn sie heute bei der Suche nach einer Haushaltsmehrheit Zusammenarbeit im Fachausschuss signalisieren.

Denn nachher werden wir bei unserem Antrag - Bezahlbarer Wohnraum auch für Ältere - Schaffung von Seniorenwohnungen – sehen, dass voraussichtlich lediglich einer von 3 Punkten eine Mehrheit finden wird. Man möchte sich inhaltlich nicht festlegen. Oder auch bei der Beratung zum Digital Officer, wo man versuchen wird, eigene Antragspunkte durchzusetzen, um unseren nicht zustimmen zu müssen. Sie fürchten sich bei Anträgen anderer Fraktionen aus meiner Sicht wie der Teufel vor dem Weihwasser.

Das meine Damen und Herren ist aber nicht im Sinne einer guten Zusammenarbeit und auch nicht im Sinne der Stadt. Wir werden jedenfalls auch heute einigen Anträgen der CDU zustimmen – wie bspw. jenem für LKW-Führerscheine für die Feuerwehr oder auch dem Bürgerwald. Denn allem politischen Wettstreits zum Trotz geht es den Bürgerinnen und Bürgern doch um die Umsetzung und um Lösungen, nicht darum, wer den Antrag gestellt hat.

Eines noch: Verantwortung lieber Herr Bock heißt für uns eben nicht, der größten Gruppe im Rat nach dem Mund zu reden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.