Es ist nicht oft genug zu betonen: Das Thema „Pflege“ geht uns alle an.
Um der Problematik „Defizite in der pflegerischen Versorgung“ in Winsen und Umgebung offen und kritisch auf den Grund zu gehen, aber auch um Ideen für eine zukünftige menschenwürdige Pflege und Unterstützung für pflegende Angehörige zu bündeln, hatte der SPD Ortsverein Winsen (Luhe) zu einer Podiumsdiskussion mit Experten aus dem Gesundheits- und Pflegebereich eingeladen.
Die Winsener SPD Co-Vorsitzende Dominique Sechi begrüßte zahlreiche Interessierte und die Gäste der Podiums-Runde im Winsener Marstall.
Die Moderation übernahm ihr Co-Vorsitzender Norbert Rath, der die Expert:innen im Podium vorstellte:
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Ulrike Boje, Mitglied des Landesvorstands Niedersachsen von wir pflegen e.V.
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Dr. Markus Jaeger-Rosiny, Hausarzt und Palliativmediziner
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Nikolaus Lemberg, Geschäftsführer InGe e.V. Winsen/Salzhausen
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Thomas Grambow, Geschäftsführer DRK Landkreis Harburg
In einer kleinen Einführung stellte Norbert Rath aktuelle Daten vor: ca. 263.000 Einwohner:Innen leben aktuell im Landkreis Harburg. Im Jahr 2023 lag die Pflegequote bei 5,4 %. Das waren 14170 Pflegebedürftige, davon 16 % in der stationären Betreuung, 24 % in der ambulanten Betreuung und 60 % erhalten Pflegegeld aus der Pflegekasse. Deutlich steigt die Pflegequote bei den über 80-jährigen, von denen 39 % im Landkreis Harburg pflegebedürftig sind.
„Die Zahlen steigen radikal nach oben und die Fälle der Unter- und Fehlversorgung mehren sich“, hieß es in der Eröffnungsrunde, die einen aktuellen Handlungsbedarf deutlich machte. Was fehlt, sind ein aktueller Pflegebericht und eine Pflegeplanung für die Stadt.
„Über einen langen Zeitraum war die Kapazität in der ambulanten Pflege in Winsen noch okay, jetzt stellt ein Wohlfahrtsverband seinen Dienst ein und die Johanniter machen die Beratungsstelle zu“, berichtet Nikolaus Lemberg.
Ein wichtiger Grund sei ein großer Denkfehler in der Gesetzgebung: Die tariftreue Bezahlung und somit steigende Gehaltszahlungen werden durch die Refinanzierung der Krankenkassen nicht ausgeglichen. Es liegt ein Defizit vor, welches die Pflegedienste nicht tragen können.
Auch beim DRK im Landkreis könne man die stationäre Pflegeeinrichtung in Hanstedt, die zwei Tagespflegestätten in Hanstedt und Winsen sowie einen kleinen ambulanten Pflegedienst nur mit großen Anstrengungen aufrechterhalten, so Thomas Grambow, der auch berichtete, dass in Neu Wulmstorf 2023 das letzte von drei Pflegeheimen schließen musste.
Auf den akuten Fachkräftemangel, auch in den Hausarztpraxen, wies Dr. Markus Jaeger-Rosiny hin. So werden z. B. in der BBS Winsen keine MFA (Medizinische Fachkräfte) beschult. Auszubildende müssen zweimal in der Woche nach Buchholz zur Schule, das sei den Ausbildungswilligen nicht zuzumuten, auch aufgrund der schlechten Anbindungen.
Ausgebildete Pflegekräfte zu halten, sei in der ambulanten Pflege schwer. Attraktiver würde der Beruf, wenn sie mehr Zeit für die Menschen hätten und weniger Bürokratie den Arbeitsalltag belasten würde. „Wirtschaftlichkeit geht vor Menschlichkeit“, diese Erkenntnis wurde auch durch Praxisbeispiele aus der ambulanten Pflege und aus dem Alltag des Hausarztes bekräftigt.
Ulrike Boje aus Maschen von „Wir pflegen e. V.“ legte das große Augenmerk auf die pflegenden Angehörigen, deren Interessen der Verein vertritt. Ein Beispiel: Ab Pflegegrad 3 von 5 Pflegegraden könne eine pflegende Person nicht mehr in Vollzeit arbeiten. Das werde sich später in der Rente bemerkbar machen und die Folgen könnten Altersarmut sein. Unter www.wir-pflegen-niedersachsen.de gibt es ausführliche Infos zu den Angeboten des Vereins.
Während in der ersten Runde der Ist-Zustand transparent gemacht wurde, lag im zweiten Teil der Fokus auf das Machbare und auch Wünschenswerte für die Zukunft. Wäre es nicht möglich, Menschen ausschließlich für einfache Pflegetätigkeiten auszubilden, um so Personalkosten zu reduzieren und gleichzeitig Integration zu praktizieren, schlug eine Teilnehmerin vor. Die Idee begeisterte Nikolaus Lemberg und er konnte dazu berichten, dass ab September bei der InGe ein Schüler aus der Schule An Borns Soll in Buchholz ein Praktikum bei der InGe beginnt.
Kommunikation war ein ganz wichtiges Stichwort, z. B. im Miteinander der Pflegedienste mit den Angehörigen oder auch, wenn es um Nachbarschaftshilfe bei alleinstehenden Menschen mit Pflegebedarf geht. Natürlich auch mit der Öffentlichkeit, die sich vor der Realität nicht verschließen kann, auch weil es für alle einmal ein persönliches Thema sein wird. Diese Diskussionsrunde sei ein Schritt, die Menschen für die Thematik zu sensibilisieren.
Konkrete Hilfe gerade für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 4 und 5 könnten Pflegestützpunkte, wie sie lange schon im SGB XI vorgesehen sind, aber wie vielerorts auch im Landkreis Harburg nicht umgesetzt wurden. In den Stützpunkten würden Mitarbeiter:innen aus Krankenkassen und kommunalen Stellen die Beratung und auf Wunsch auch eine konkrete Versorgungsplanung übernehmen. Viele Hindernisse wie bei der Entlassung aus dem Krankenhaus oder die Terminplanung bei Fachärzten könnten so überwunden werden.
Der Winsener SPD-Vorsitzende Norbert Rath bedankte sich bei den Pflegefachleuten und den Gästen für die interessante Diskussionsrunde und versicherte, dass der SPD Ortsverein Winsen zum Thema Pflege „am Ball“ bleiben werde. „Unsere Wohnorte werden wir alle künftig stärker als Sozialraum sehen, in dem wir füreinander im Sinne auch einer nachbarschaftlichen Hilfe Verantwortung übernehmen.“